Regeln für die Dozenten der Philosophie

Aus der Ratio studiorum et institutiones scholasticae Societatis Jesu per Germaniam olim vigentes collectae concinnatae (1887) S. 329ff.

  1. Weil die Philosophie den Geist zur Theologie und zu anderen Fachstudien vorbereitet, zu deren vollkommenen Erfassung und praktischen Anwendung dient und schon an sich zur Ausbildung des Verstandes und folgerichtig zur Vervollkommnung des Willens beiträgt, so behandle sie der Lehrer mit der schuldigen Genauigkeit, suche in allem aufrichtig die Ehre und Verherrlichung Gottes, so dass er seinen Zuhörer zu anderen Wissenschaften, besonders aber zur Theologie vorbereite, gegen die Irrtümer der Neuerer mit den Waffen der Wahrheit ausrüste und vorzüglich zur Erkenntnis ihres Schöpfers aufmuntere.

  2. Die ganze Philosophie soll er in zwei oder drei Jahren absolvieren und hierin sich nach dem Wunsche des Provinzials erkundigen; Letzterem steht es zu, das für jedes Kolleg Ersprießlichste anzuordnen.
    Lehrpaln gut
    S. 331

  3. Daher wird im ersten Jahre die Logik, Metaphysik und Mathematik, im zweiten die Physik und Moralphilosophie vorgetragen; im dritten Jahre behandelt man jene physikalischen und metaphysischen Fragen, die in den zwei ersten Jahren übergangen wurden oder einer weiteren Erklärung bedürfen, und die höhere Mathematik.

  4. Nirgends aber werde der Kurs beschlossen, bevor die gewöhnlichen Ferien gegen Ende des Schuljahrs entweder angebrochen oder doch sehr nahe sind.

  5. In irgend wichtigen Fragen weiche er von der überall auf den Akademien angenommenen Lehre nicht ab. Den wahren Glauben verteidige er nach Kräften und suche gründlich die gegen denselben gerichteten philosophischen Systeme und Scheinbeweise zu widerlegen. Endlich vergesse er in der Wahl zwischen verschiedenen Meinungen nicht, dass die Theologie voran leuchten müsse.

  6. Jene Philosophen, welche es mit der christlichen Religion übel meine, lese er nicht ohne [S. 333] große Auswahl vor oder bespreche er sonst in der Schule; er hüte sich, dass die Schüler keine Neigung für sie fassen. Muss er etwas Gutes aus ihnen vorbringen, so tue er es ohne Lob und zeige, wenn möglich, dass es anderswoher entnommen ist.

  7. wie Nr. 6. In der der alten R. st.

  8. Obgleich man jene Ausdrücke, bei welchen der entsprechende Sinn schwer verständlich ist, meiden soll, so dürfen doch jene, die sich später der Theologie widmen wollen, mit der Sprache der Scholastiker nicht unvertraut bleiben.

  9. Zu der vom Rektor angesetzten Zeit sollen einige, ungefähr zehn, Scholastiker unter sich täglich das Gehörte ½ Stunde lang wiederholen, wobei ein Mitschüler, wenn möglich einer aus der Gesellschaft, an der Spitze jeder Dekurie steht.

  10. Es sollen monatliche Disputationen stattfinden, bei welchen der Defendent eine oder die andere These kurz und philosophisch beweist, und außer einem zum Objizieren eingeladenen Professor auch die Hörer der höheren Klasse zuerst mit den Schülern der unteren, und hierauf die Schüler der gleichen Klasse unter einander disputieren.

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  1. Solange der Lehrer die ersten Grundzüge der Logik vorträgt, sollen weder er noch seine Zuhörer zu diesen Disputationen kommen. Ja in der ersten oder zweiten Woche sollen die Logiker überhaupt nicht disputieren, sondern sich mit der Sacherklärung begnügen; nachher mögen sie in ihrer Schule etliche Thesen am Sonnabende verteidigen.

  2. Wo nur ein einziger Professor der Philosophie ist, halte er jährlich 2-3 mal an einem Fest- oder sonstigem freien Tage einige Disputationen, und zwar derart, dass ein fruchtbarere Eifer in unseren Studien sich aus denselben ergibt.

  3. Schon vom Beginne der Logik an sollen die Jünglinge so angeleitet werden, dass sie beim Disputieren sich über nichts mehr schämen, als über die Abweichung von der (syllogist.) Form. Auf nichts dringe der Lehrer bei ihnen mehr, als auf Einhalten der Disputiergesetze und den gehörigen Wechsel zwischen Angriff und Verteidigung. Daher wiederhole der Defendent zuerst die ganze Objektion ohne Gegenrede gegen die einzelnen Propositionen; hierauf repetiere er nochmal die Propositionen und bemerke zu jeder „Concedo“ oder „Nego den Ober-, Unter-, Folgesatz.“ Bisweilen distinguiere er auch, dränge aber seine Erläuterungen oder Gründe, die man anzuführen pflegt, niemandem wider dessen Willen auf.

  4. Damit man in dieser scholastischen Form, die zur Entdeckung und Nachweisung der Wahrheit und [S. 335] zur Widerlegung der Irrtümer so nützlich und nötig ist, richtig vorangehe, sorge der Lehrer dafür, dass die Schüler nur ernste und gründliche Einwürfe vorbringen, klare und genaue Ausdrücke gebrauchen, den vermittelnden Begriff (medius terminus) bei Entwicklung derselben Schwierigkeit nicht zu verwechseln wagen. Ist eine genügende Lösung gegeben, so lasse er ja die Disputation nicht zu eitlem Wortgefecht ausarten; viel eher setze man die Einwürfe und die Lösung derselben außer der (scholast.) Form deutlich auseinander, damit so die Wahrheit offenbar und bestätigt werde.

Logik

  1. Vor Erklärung der Logik schicke er eine Art von Einleitung zur Philosophie voraus, indem er die Geschichte und den Nutzen dieser Wissenschaft kurz darlegt.

  2. Über die Ideen handle er so, dass er den Unterschied einer jeden von den übrigen klar vorträgt und die Gesetze für den Gebrauch derselben vorschreibt. Den sprachlichen Ausdruck derselben, den Ursprung, den Gebrauch und Missbrauch der Wörter erkläre er.

  3. Den Begriff des Urteils stelle er auf und beschreibe genau die Verschiedenheit der Sätze und die Bedeutung derselben im Einzelnen. Auch erörtere er die Gesetze der Begriffsbestimmung und Einteilung.

  4. Er erkläre gebührend die Gesetze des Schlusses, lege die Arten [S. 339] der Beweisführung und besonders der Syllogismen dar und übe seine Schüler fleißig in der Schlussfolgerung.

  5. Über Wahrheit und Trugschlüsse unterrichte er sie derart, dass sie die Denkgesetze klar fassen und mittelst derselben das Wahre vom Falschen unterscheiden. Die Anzeichen oder Kriterien der Wahrheit, die Quellen und Eigenschaften der Kriterien setze er weitläufig und gründlich auseinander.

  6. Er lege es auf eine richtige Unterscheidung zwischen Wissen und Glauben, zwischen Meinung, Unwissenheit und Irrtum an; er behandle die Arten und Gesetze der Beweisführung, die allgemeinen Regeln der Kritik und Hermeneutik, kurz, alles das, was zur Erkenntnis und Verteidigung der Wahrheit führt.

Metaphysik

  1. Im ersten Teile, der sog. Ontologie, sollen die ersten Prinzipien der philosophischen Beweisführung, die Eigenschaften und allgemeinste Arten des Seins, ihre Attribute, Weisen, Beziehungen etc., Substanz, Akzidens, Kraft; Prinzip und Ursache, Raum, Ort, Dauer, Zeit, Bewegung etc. Erklärt werden.

  2. In der Kosmologie behandle man den Ursprung der Welt, die Körper und ihre Elemente, die Vollkommenheit der Welt, die Natur und ihre Gesetze, die übernatürlichen Wirkungen und die Kriterien eines wahren Wunders, jedoch so, [S. 341] dass nach Darlegung der allgemeinen Begriffe weder das zur Offenbarung, noch das zur Physik gehörende hier vorgebracht wird.

  3. Zur Psychologie gehört die Abhandlung über das Wesen der menschlichen Seele und ihre Fähigkeiten. Daher spreche der Professor von den Sinnes-Wahrnehmungen, der Einbildungskraft, dem Gedächtnisse, vom Wesen des Verstandes und der Vernunft, vom Begehrungs- und Verabscheuungsvermögen, von der Spontanität, dem Gewollten und Freiwilligen, von der Selbstbestimmung der Menschenseele. Er erkläre den wesentlichen Unterschied zwischen Leib und Seele, die Einfachheit, Geistigkeit und Unsterblichkeit der Seele. Die Fragen über den Wohnsitz der Seele, ihren Verkehr mit dem Leibe, über die Natur und den Ursprung der Ideen, über die Tierseele nehme er kurz durch unter Angabe der Ansichten der berühmteren Philosophen.

  4. Bei der natürlichen Theologie berücksichtige er vorzüglich jene, welche die scholast. Theol. nicht studieren werden, damit sie über Gott, sein Dasein und seine Eigenschaften, über die Notwendigkeit der Offenbarung, die Wahrheit und Glaubwürdigkeit der christl. Religion gründlichen Unterricht erhalten; wenn man nicht für besser hält, das zur Naturreligion Gehörende in der Moralphilosophie behandeln zu sollen.