Was bedeutet Wahrheit?

Dies ist die Mitschrift einer meiner mündlich frei vorgetragenen EWTN-Vortragsreihe Philosophie für Jedermann

Worum geht es?

Sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Gespräch über philosophische Grundfragen der Philosophie

Liebe Freunde, das ist der erste Vortrag über Fragen der Philosophie, die jedem Menschen existenziell betreffen und höchst persönlich angehen. Wir unternehmen ein großes Werk, in dem wir versuchen, in weniger als einer halben Stunde über ein so gewaltiges Thema zu sprechen, das selbst die größten Denker in der Geschichte der Philosophie nicht umfassend beantworten konnten. Vielleicht müssen wir uns schuldig fühlen, des Fehlers, den der Philosoph Gabriel Marcel bezeichnet hat, wenn er von den „ terribles simplificateurs“ gesprochen hat, von den schrecklichen Simplifiziern, von den schrecklichen Vereinfachern großer Probleme.

In diesen kühnen Unternehmen gibt uns vielleicht eine Szene aus einer Komödie von Johann Nestroy „Das Mädl aus der Vorstadt“ etwas Trost. Dort stürzt eine Dame aufgeregt ins Zimmer, Frau von Erbsenstein und Schnoferl empfängt sie. „Wahrheit wünsch’ ich, Wahrheit aus Ihrem Mund, ich hab’ bereits eine Ahnung.“[1] Und Schnoferl antwortet: „Dann haben Sie auch alles, denn die größten Gelehrten haben von der Wahrheit nie mehr als eine Ahnung g’habt.“[2]

Wenn also selbst die größten Philosophen von der Wahrheit nie mehr als eine Ahnung gehabt haben, dann können auch wir uns in diesem Vortrag damit begnügen, einige große grobe Grundrisse, einige Ahnungen von dem zu bekommen, was eine Philosophie der Wahrheit bedeutet.

Wir stehen hier inmitten von griechischen Säulen, und das ist bedeutsam, denn in Griechenland hat die Philosophie ihren Ursprung genommen, in Griechenland hat sie auch ihre erste große Blüte erlebt. Die Namen Sokrates. Platon, Aristoteles sind Ihnen vielleicht schon geläufig. Die Tatsache, dass diese Säulen hier am Boden liegen, drückt auch etwas symbolisch aus. Die Philosophie hat im Laufe ihrer über zweitausendjährigen Geschichte gewaltige Krisen durchlitten. Immer wieder hat man überhaupt daran gezweifelt, ob es möglich ist, philosophisch diese großen Fragen zu beantworten Man ist immer wieder an der Wahrheit verzweifelt. Wir wollen hier versuchen, den Grundstein zu legen oder zumindest einen Einblick zu gewinnen in die Versuche, die heute unternommen werden. Und auch unsere kleine Internationale Akademie für Philosophie im Fürstentum Lichtenstein (IAP)[3] versucht dazu beizutragen, die Versuche, diese auf der Erde liegen Säulen, wieder aufzubauen. Das Haus der Wahrheit, auf dem ein menschliches, soziales und politisches und persönliches Leben steht, wieder zu erbauen und aus dieser gewaltigen Krise die uns heute umgibt: der sechsten großen Krise, wie Balduin Schwarz, ein großer Philosoph gesagt hat, wieder aufzustehen. Beginnen wir mit einem Text, in dem Friedrich Nietzsche, der atheistische Philosoph, der in der Lage war, mit großer Sprachgewalt Grundfragen der Philosophie zu stellen, diese Auswirkungen der sechsten Krise zu beschreiben. Nietzsche schreibt:

„Das war die erste Gefahr, in deren Schatten Schopenhauer heranwuchs: Vereinsamung. Die zweite heißt: Verzweiflung an der Wahrheit. Diese Gefahr begleitet jeden Denker, welcher von der Kantischen Philosophie aus seinen Weg nimmt, vorausgesetzt, daß er ein kräftiger und ganzer Mensch in Leiden und Begehren sei und nicht nur eine klappernde Denk- und Rechenmaschine. […] Sobald aber Kant anfangen sollte eine populäre Wirkung auszuüben, so werden wir diese in der Form eines zernagenden und zerbröckelnden Skeptizismus und Relativismus gewahr werden; und nur bei den tätigsten und edelsten Geistern, die es niemals im Zweifel ausgehalten haben, würde an seiner Stelle jene Erschütterung und Verzweiflung an aller Wahrheit eintreten, wie sie zum Beispiel Heinrich von Kleist als Wirkung der Kantischen Philosophie erlebte. »Vor kurzem«, schreibt er einmal in seiner ergreifenden Art, »wurde ich mit der Kantischen Philosophie bekannt – und dir muß ich jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, daß er dich so tief, so schmerzhaft erschüttern wird als mich. – Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist’s das letztere, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nichts mehr, und alles Bestreben, ein Eigentum zu erwerben, das uns auch noch in das Grab folgt, ist vergeblich. – Wenn die Spitze dieses Gedankens dein Herz nicht trifft, so lächle nicht über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe keines mehr.« [Und Nietzsche fügt hinzu:] Ja, wann werden wieder die Menschen dergestalt Kleistisch-natürlich empfinden, wann lernen sie den Sinn einer Philosophie erst wieder an ihrem »heiligsten Innern« messen?“[4]

Die Krise, in der die Philosophie durch Kant geraten war, hatte vor allem ihre Wurzeln in dem Gedanken, dass der Mensch nicht die Dinge an sich, nicht die Welt, wie sie unabhängig vom Subjekt ist erkennen kann, sondern nur die Erscheinungen. Auch hatte Kant behauptet, dass die Erkenntnis nicht, wie die ganzen Generationen der Philosophen vor ihm gedacht hatten, von den Dingen selbst, von der Wirklichkeit selbst her bestimmt ist, sondern umgekehrt, die Wirklichkeit, so wie wir sie wahrnehmen, werde durch das Subjekt bedingt. Auf diesen Sachverhalt beziehen sich die Worte Heinrich von Kleists über die gewaltige Krise und Verzweiflung an der Wahrheit, die er aufgrund der kantischen Philosophie erlitten hat.

Was ist Wahrheit?

Nun aber wollen wir zu dem Thema kommen zu dem Thema „Was ist Wahrheit?“ Noch eine Vorbemerkt sei mir erlaubt: Um zu Philosophieren müssen Sie alle, die hier zu hören mittun? Ich kann höchstens, wie eine Hebamme einer Mutter hilft, ihr eigenes Kind zu gebären, Ihnen helfen, die eigene Erkenntnis zu gewinnen, aber die Arbeit müssen muss jeder von ihnen selbst leisten, die kann Ihnen niemand abnehmen.

Der heilige Augustinus, einer der größten Philosophen und auch Theologen der Geschichte des Abendlandes, hat den Satz geprägt: „Was begehrt der Mensch mehr als die Wahrheit?“ Können Sie sich heute mit einer solchen Aussage identifizieren? „Ja, ich frage mich, ob die Wahrheit überhaupt wichtig ist, ob wir die Wahrheit brauchen, was für einen Sinn es macht, Wahrheit zu haben.“[5] Um auf diese Ihre Frage „Was ist eigentlich Wahrheit?“ zu antworten, müssen wir kurz einen Überblick wagen über die vielen Bedeutungen, in denen man von Wahrheit spricht:

Die Wahrheit des Seins

Zunächst, kann man von Wahrheit in einem Sinn reden, der uns meist nicht geläufig ist, da wir gewöhnlich nur an die Wahrheit von Aussagen, an die Wahrheit von Sätzen denken, dennoch finden wir auch in unserer Sprache einen Bezug auf diese Wahrheit, die man als die Wahrheit des Seins oder die ontologische Wahrheit bezeichnen könnte.

In einem ersten Sinn innerhalb dieser ontologischen oder Seinswahrheit, kann man das Wahre mit dem Wirklichen identifizieren. Sie alle kennen die Erfahrung jemand spricht von irgendeiner Begebenheit spricht und Sie wissen nicht, ist es eine Erfindung, erzählt er von einem Film oder einem Roman, ist das eine wahre Begebenheit oder eine erfundene? Hier bedeutet das Wort „Wahrheit“ dasselbe wie „wirklich“. Die Scholastiker sagen, „Wahrheit“ bedeutet die Ungeteiltheit des Seins von dem, was ist, „Wahrheit“ bedeutet also das, was wirklich existiert.

Von dieser Seinswahrheit kann man aber auch in einem anderen Sinn sprechen. Man kann von ihr sprechen, in der Bedeutung, dass etwas erkennbar ist. Der große Philosoph Thomas von Aquin hat im Mittelalter folgenden den Satz über die Wahrheit des Seins geprägt: Das Sein ist die Grundlage aller wahren Aussagen. Es ist das Fundament aller wahren Aussagen. Damit das Sein dies sein kann, muss alles was ist auch erkennbar sein. Das ist an sich eine ungeheure Aussage, dass es nichts in der Wirklichkeit geben kann, nichts im Himmel und auf Erden, nichts jenseits des menschlichen Verstandes, was prinzipiell nicht erkennbar wäre. Also das Seiende ist wahr, weil es offen ist gegenüber dem Geist. Thomas von Aquin drückt das auch aus, indem er sagt: „Jedes Seiende ist dazu geboren und dazu bestimmt, von dem Intellekt erkannt zu werden.“

Wahrheit als Eigentlichkeit

Aber auch das erschöpft noch nicht die Bedeutungen dieses ersten grundlegenden Sinnes von Wahrheit: Die Wahrheit des Seins ; Es gibt nämlich auch eine Wahrheit, die sie alle auch aus Ihrer Erfahrung kennen, zum Beispiel wenn man Sie fragt, ist das Ihr Freund, ist der Peter Ihr Freund, und Sie sagen, er ist mein Freund, aber nicht ein wahrer Freund. Er hat mich enttäuscht, er hat mich betrogen, er hat mich verlassen. Also hier meinen wir mit einem wahren Freund, einen Freund, der dem Wesen der Freundschaft entspricht. Die Wahrheit ist hier die Entsprechung einer Freundschaft, einer Liebe, einer Trauer, einer mitmenschlichen Beziehung, mit dem, was diese Dinge sein sollten, mit dem, was ihr eigentliches Wesen ist. Man könnte hier auch von Eigentlichkeit sprechen. Und Martin Heidegger zum Beispiel, spricht von der Eigentlichkeit der Liebe, aber auch der Eigentlichkeit des Hasses.

Aber diese Eigentlichkeit ist auch noch nicht ganz das, was wir mit der Wahrheit des Seins meinen, denn wenn etwas nur eigentlich ist, aber es schlecht ist, es böse ist, wie z.B. der eigentliche Neid, der eigentliche Hass im Gegensatz zu einem ganz konventionellen, halbherzigen Neid oder Hass, so fühlen wir, dass diese Phänomene das Prädikat Wahrheit nicht verdienen. Wahrheit hat nämlich immer auch einen Wertbezug , wenn man von wahrer Liebe, von wahrer Freundschaft spricht, ist nicht nur das gemeint, was eigentlich das ist, wovon wir reden, sondern auch etwas, das etwas Gutes ist. Aber darüber werden wir in einer späteren Diskussion, in einem späteren philosophischen Gespräch noch handeln.

Gott als die Wahrheit des Seins

Und schließlich, wenn die Philosophen der Antike und auch der des Mittelalters und zum Teil der Neuzeit, zum Beispiel René Descartes, von der Wahrheit des Sein sprechen, sprechen sie auch im Hinblick auf Gott von der Wahrheit des Seins. Hierbei geht es nicht mehr um eine Entsprechung mit irgendeiner Idee, sondern um die letzte Quelle, das letzte Kriterium aller solcher Entsprechung.

Die Wahrheit des Erkenntnisaktes

Dann haben wir auch noch die Wahrheit des Erkennens im Auge. Wenn wir von der Wahrheit des Erkennens sprechen, so meinen wir damit, dass der Erkenntnisakt mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Dass wir etwas so erfassen, wie es ist. Und deshalb können wir über die Erkenntnis aussagen, dass diese insofern sie etwas erkennt wie es ist, ist wahr .

Die Wahrheit des Urteils

Und schließlich können wir von der Wahrheit des Urteils sprechen, der Wahrheit, die eine Aussage wahr macht, nicht so sehr den sprachlichen Satz , sondern den in diesem Satz ausgedrückten Urteilsinhalt , die Bedeutung dieses Satzes. Wenn ein Satz ein Urteil ist, behauptet er, dass etwas so ist und nicht anders ist. Dieser Satz ist dann wahr, wenn diese Behauptung mit dem Verhalten der Dinge , mit den Sachverhalten übereinstimmt. Jedes Urteil, wenn immer wir etwas behaupten, erhebt einen Anspruch auf Wahrheit, aber nicht jedes Urteil ist wahr, wenn dieser Anspruch nicht erfüllt wird, wenn es zum Beispiel aussagt: „Theaitetos fliegt“, Theaitetos aber in Wirklichkeit auf der Erde sitzt, dann ist das Urteil falsch , weil es einen Sachverhalt behauptet, der nicht mit dem in wirklich bestehenden Sachverhalt übereinstimmt.

Die Wahrheit des Lebens – veritas vitae

Wenn wir in dieser Weise über die verschiedenen Bedeutungen der Wahrheit gesprochen haben, dürfen wir auch die Wahrheit des Lebens nicht vergessen. Es gibt also eine weitere Bedeutung von „Wahrheit“, nämlich die veritas vitae, von der Bonaventura spricht. Dies ist eine Wahrheit, die nicht nur im Denken oder im Urteil liegt, sondern im Leben, dass jemand gemäß der erkannten Wahrheit lebt. Tut er dies, so wird sein Leben wahr.

Der Dalai Lama hat unlängst in einem Buch über die Ethik nach dem Jahr 2000 davon gesprochen, dass es für die Menschen mit am Wichtigsten sein wird, auch für die Anhänger verschiedener Religionen, dass sie in ihrem Leben das, was sie theoretisch erkannt haben und glauben, auch tatsächlich in ihren persönlichen Taten zum Ausdruck bringen.

„Wenn ich mit Freunden über Wahrheit diskutieren, das kommt durchaus des Öfteren vor, im Berufsleben oder auch privat, habe ich mich immer gefragt, ob es nicht auch Theorien gibt, die wirklich begründen können, dass es Wahrheit gibt.“[6]

In Antwort auf ihre Frage, habe ich schon versucht, das Wesen der Wahrheit, des Urteils etwas zu erklären. Ein Urteil ist dann war, wenn es aussagt, wie die Sachen sind, wenn es mit den bestehenden Sachverhalten übereinstimmt, und dann falsch, wenn es mit ihnen den Widerspruch tritt. Diese Übereinstimmung, die Adäquatio , die die mittelalterlichen Philosophen so benannt haben, ist eine einzigartige Entsprechung zwischen Urteil und Sachverhalt , ein Zusammentreffen zwischen der urteilsmäßigen Setzung und Behauptung des Sachverhalts mit diesen wirklich bestehenden Selbstverhalten, der Sache, wie Alexander Pfänder, der große deutsche Logiker dies analysiert hat.

Das Bestreiten der Existenz der Wahrheit

Der Relativismus

Es gibt aber viele Auffassungen der Wahrheit, des Urteils, die in eine völlig andere Richtung gehen und auch Formen des Bestreitens, dass es überhaupt diese Wahrheit gibt. So gibt es vor allem den Relativismus, in all seinen Spielarten, der besagt, dass Wahrheit nur relativ auf das Individuum ist: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, das Seienden, dass sie sind, dann nicht sein, dass sie nicht sind“, wie Protagoras das ausgedrückt hat.

Andere Philosophen relativieren die Wahrheit auf unsere Gesellschaft oder Kultur oder auf eine bestimmte historische Epoche und wieder andere auf den Menschen als solchen. Aber all diese Philosophien, von denen Edmund Husserl gesagt hat, dass fast alle modernen Philosophen solche relativistischen Ideen haben, missdeuten die Wahrheit fundamental. Es widerspricht sogar dem Sinn der Wahrheit, zu sagen: Das ist eine Wahrheit für mich , aber nicht für dich . Denn wenn etwas mit dem Sachverhalt übereinstimmt, dann ist es in sich wahr und für jedermann , und es kann nicht nur für jemanden Bestimmten wahr sein. Es kann von jemandem für wahr gehalten werden, aber es kann nicht für ihn war sein.

Umdeutungen des Wesens der Wahrheit durch die Konsenstheorie

Um diesen Relativismus zu begründen, gab es allerdings viele Theorien der Wahrheit, die die Wahrheit umdeuten, zum Beispiel die Konsenstheorie der Wahrheit (oder Diskurstheorie): Diese besagt, dass Wahrheit nicht die Übereinstimmung eines Urteils mit der Wirklichkeit ist, sondern dass nach einem längeren Diskurs über eine Frage der Konsens unter vielen oder unter manchen oder unter allen Menschen erreicht wird. Aber dass der Konsens, die Übereinstimmung im Urteil, nicht die Wahrheit selbst sein kann, leuchte vielleicht auf, wenn wir zum Beispiel an den gewaltigen Kampf denken, den der deutsche Philosoph Dietrich von Hildebrand gegen den Nationalsozialismus geführt hat, denken.

Ist zum Beispiel die Aussage, dass Juden Untermenschen sind, die man töten und ermorden kann, deshalb wahr, weil ein Großteil der Bevölkerung dieser Ansicht ist? Sicher nicht! Oder ist, wenn ein Löwe unser Dorf überfällt und das ganze Dorf darin übereinstimmt, dass dort kein Löwe ist, ist dann diese Aussage deshalb wahr, weil das ganze Dorf darin übereinstimmen? Und wenn der Löwe über Nacht in das Dorf eindringt und Frauen, Kinder und Männer tötet, dann zeigt sich, dass das ein Unsinn ist, dass die Übereinstimmung darüber, dass kein Löwe vor dem Dorf ist, nichts mit der Wahrheit dieser Aussage zu tun hat.

Auch die Kohärenztheorien der Wahrheit und viele andere, wie zum Beispiel Nützlichkeit als Wahrheitskriterium , sind Theorien der Wahrheit, die versuchen, die Wahrheit in ihrem ursprünglichen Sinn als die Übereinstimmung des Urteils mit der Wirklichkeit durch andere Dinge zu ersetzen. All diese Theorien widersprechen sich auch selbst. Denn um zu sagen, Wahrheit ist nichts als Konsens, ist nichts als Übereinstimmung, muss man eben der Überzeugung sein, dass das wirklich so ist, das also dieses Urteil wenigstens mit den Tatsachen übereinstimmt, nämlich mit der Natur der Wahrheit. So kann man die Wahrheit in ihrem Wesen als ein unenthronbares Phänomen bezeichnen, als eine verità innegabili, wie Giovanni Reale in seinem Buch über die antike Philosophie sagt. Das heißt, die Wahrheit kommt immer wieder herein, sobald man sie zu leugnen versucht.

Zusammenfassende Schlussbemerkung

So können wir diese Ausführungen, Ahnung über das unermessliche Feld einer Philosophie der Wahrheit mit der Bemerkung beschließen, dass wir erkannt zu haben glauben, dass die Wahrheit der Aussage in einer besonderen Übereinstimmung des Urteils mit der Wirklichkeit, mit den tatsächlich bestehenden Sachverhalten liegt und dass sie ihr Fundament in der Wahrheit des Seins hat; in der erkennbaren Struktur und in den Kriterien und Maßstäben, die in der Wirklichkeit vorgegeben sind und die den Grund dafür darstellen, warum wir von einer wahren Begebenheit, einer wahren Liebe, einer wahren Freundschaft sprechen können.

Sokrates Vorbild im Leben der Wahrheit

Und schließlich gibt es die Wahrheit des Lebens, und die Philosophie besteht nicht einfach nur darin, die Wahrheit theoretisch zu erkennen, Urteile zu fällen, die wahr sind, sondern auch diese Wahrheit in der Praxis, in der Tat zu verwirklichen. Da bleibt der große griechische Philosoph, an denen die Ruinen dieser Säulen, die hier auf dem Boden liegen, uns erinnern sollen, Sokrates ein Vorbild. Sokrates war ein Philosoph, der nicht nur wichtige Wahrheiten, wie z.B. die, dass es besser für den Menschen ist, Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun, dass es noch schlimmer für ihn ist, Unrecht zu tun und viele andere erkannt hat und gelehrt hat, sondern er ist ein Philosoph, der bis in den Tod gegangen ist, um für diese Wahrheit, die erkannt hatte, einzutreten.

In dem Sinn müssen Sie und ich uns kritisch die Frage stellen, die eine junge Studentin in ihrem ersten Semester in Texas, wo ich lange Zeit gelehrt habe, an mich gerichtet hat, nachdem ich den großen Katalog der Tugenden des Philosophen, seine Wahrheitsliebe bis zum Tod, seinem Mut und so fort, die Platon im sechsten Buch des Staates entfaltet, dargestellt habe. Sie hat mich ganz aufgeregt angeschrien und gesagt, aber Herr Prof Seifert, wenn das die Philosophie ist, dann sind Sie kein wahrer Philosoph, und keiner unserer Professoren an der Universität ist ein wahrer Philosoph.

Worauf ich hier geantwortet habe: Ganz richtig, Sie haben erkannt, dass die Philosophie, die auch die Wahrheit des Lebens einschließt, ein Ideal ist, dem wir nachstreben müssen. Philosophie ist die Liebe und Suche nach Wahrheit, noch nicht ihr voller Besitz. So müssen Sie und ich, wenn wir die über die Wahrheit und die anderen Grundthemen der Philosophie nachdenken uns bemühen, Schritt für Schritt, dieser Wahrheit näher zu kommen.

Endnoten
[1] https://gutenberg.spiegel.de/buch/das-madl-aus-der-vorstadt-5118/4
[2] https://gutenberg.spiegel.de/buch/das-madl-aus-der-vorstadt-5118/4
[3] Seifert ist der Gründungsrektor der IAP, die heute von D. v. Wachter geleitet wird.
[4] https://gutenberg.spiegel.de/buch/unzeitgemasse-betrachtungen-3244/27
[5] Eine Sprecherin von EWTN.
[6] EWTN Sprecher.

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