Vom Niedergang grundrechtlicher Denkkategorien in der Corona-Pandemie von Oliver Lepsius

Oliver Lepsius ist Professor für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie an der Universität Münster.

Wir beklagen zurzeit Grundrechtseingriffe ungeahnten Ausmaßes. Wir müssen aber noch etwas beklagen, nämlich einen ziemlich flächendeckenden Ausfall rechtsstaatlicher Argumentationsstandards. Zwar betonen die Entscheider, die momentan mit Rechtsverordnungen Grundrechte suspendieren, immer wieder, wie schwer ihnen dies falle. Dem rechtlich wie ethisch gebotenen Umgang mit den Grundrechten wird die momentane Rechtfertigungsrhetorik jedoch nicht gerecht. Grundrechte können nur unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden. Der Eingriff unterliegt einem Rationalitätstest anhand von faktenorientierten Maßstäben und einer Verantwortbarkeitskontrolle orientiert an normativen Maßstäben.

Zunächst geht es um Faktenfragen: Es darf vor allem kein milderes Mittel geben. Können die gewählten Mittel das Ziel, dem der Eingriff dient, überhaupt fördern? Sind weniger invasive Mittel denkbar? Um diese Fragen zu beurteilen, muss man wissen, auf welche Bedrohung reagiert wird. Sodann dürfen die für dieses Ziel eingesetzten Mittel andere Rechtsgüter nicht unangemessen verkürzen. Jetzt geht es um eine normative Frage. Das rechtsstaatliche Rechtfertigungsprogramm von Grundrechtseingriffen operiert mit einigen Grundkategorien: Schutzgüter, Eingriffsintensität, mildere Mittel, Kausalität und Zurechnung. Die mit diesen Kategorien verbundenen Denkvorgänge finden momentan ganz weitgehend nicht statt. Wenn wir momentan einen „Ausnahmezustand“ erleben, dann ist es ein Ausnahmezustand im juristischen Denken.

Lebensschutz ist mittelbarer Effekt, aber nicht Ziel der Eingriffe

Zunächst besteht ein Problem, das grundrechtliche Schutzgut zu bestimmen, dem die Grundrechtseingriffe dienen. Es gehe um Leben oder Tod, liest und hört man immer wieder. Mich erinnert dieses Argumentationsniveau an die Zeiten von „lieber rot als tot“. Ginge es um Leben oder Tod, müssten zunächst alle Kraftfahrzeuge verboten werden. Nein, es geht um Gesundheit. Diese ist freilich grundsätzlich von vielen Parametern abhängig. Einige kann der Einzelne beeinflussen (Ernährung), die meisten jedoch kaum (Umweltbelastung, gefährdendes Verhalten Dritter, Chancengleichheit bei der Infrastruktur, allgemeines Lebensrisiko von Krankheit und Alter). Zweck der Grundrechtseingriffe kann daher nicht pauschal „Gesundheit“ sein, sondern nur ein gesundheitsrelevanter Aspekt, nämlich die Vermeidung der Überforderung des Gesundheitssystems.

Dafür ist die Prognose ausschlaggebend, wie viele Intensivpatienten wir wie lange versorgen können. Es geht also um die optimale Steuerung des Pandemieverlaufs am Maßstab der medizinischen Kapazität. Das Vermeiden von Ansteckungen ist nicht das Ziel der Eingriffe, sondern Mittel zur Steuerung. Lebensschutz ist der mittelbare Effekt des Steuerungszwecks, nicht aber das Ziel selbst – weil sonst jedwedes staatliches Handeln immer auch dem Lebensschutz diente, dann aber kein grundrechtlich (und auch kein politisch) handhabbares Ziel mehr wäre. Die momentane Diskussion hält aber politisch wie publizistisch immer noch in erster Linie am Schutzgut Leben fest, statt das Ziel konkret zu benennen: kapazitätsgerechte Steuerung des Pandemieverlaufs. Es ist klar, dass sich mit einem solchen Ziel die Rechtfertigungslasten signifikant verschieben würden – sowohl im Hinblick auf die beizubringenden Tatsachen, die Grundrechtseingriffen zugrunde gelegt werden, als auch im Hinblick auf die normative Bewertung anderer grundrechtlicher Belange.

Der mit dem Grundrechtseingriff verfolgte Zweck ist also ein dynamischer Zweck, die dauerhafte, langfristige Kapazitätssicherung. Über sie können wir aber nur Hypothesen anstellen. Die getroffenen Maßnahmen müssen folglich geeignet und erforderlich sein zur kapazitätsadäquaten Verlangsamung der Infektionsrate der Bevölkerung, nicht zur Verhinderung der Infektion von Einzelnen. Der beunruhigende Effekt, der sich für die Verhältnismäßigkeitskontrolle hier abzeichnet, lautet: Was traditionell eine tatsachenbasierte Prüfung war (Geeignetheit, Erforderlichkeit), entwickelt sich bei einem Regelungsziel, dessen Erreichung nicht hinreichend tatsachengestützt prognostizierbar ist (denn wer kennt in den nächsten Monaten an jedem Tag sowohl die verfügbare Kapazität als auch die Zahl der Intensivpatienten?), zu einer Wette. Momentan verwetten wir unsere Grundrechte für einen Erfolg, den wir erhoffen, der aber nicht prognostizierbar ist. Unter diesen Bedingungen ist es zentral wichtig, Grundrechtseingriffe strikt zu begrenzen in der Hoffnung, dass wir mit der Zeit über Erfahrung und Tatsachen verfügen, die dann halbwegs überprüfbare Prognosen ermöglichen.

Das allgemeine Polizeirecht erlaubt bei prognostischer Unsicherheit typischerweise nur den Gefahrerforschungseingriff. Prognosen sind für Grundrechtseingriffe immer bedenklich, weil sie die Tatsachenkontrolle erschweren. Dem Problem kann durch eine (1) strenge Limitierung der Mittel mit (2) einer Pflicht zu ihrer Überprüfung anhand der sich durch Zeitablauf verbessernden Tatsachenkenntnis und (3) der ständigen Suche nach milderen Mitteln begegnet werden.

Für die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen heißt dies im Augenblick: Weil eine Tatsachenkontrolle des Zweck-Mittel-Verhältnisses noch nicht möglich ist, sollte die Wette, die dem Grundrechtseingriff zugrunde liegt, verschiedene Strategien verfolgen. Wer setzt nur auf eine Karte? Es ist wichtig, Erfahrungswissen im Umgang mit der Zeitdimension zu gewinnen. Dazu sind unterschiedliche Mittel auch in ihrer Alternativität zu erproben. Das aber heißt: Eine Strategie maximaler Invasivität ist ungeeignet, das zeitlich nicht konkretisierbare Regelungsziel zu erreichen. Im Hinblick auf das Regelungsziel muss der Ausbau und die Aufrechterhaltung der Kapazität (Personal, Intensivbetten) berücksichtigt werden wie breite Tests, die es ermöglichen, Infektionsverläufe vorherzusehen. Im Hinblick auf die Regelungsmittel ist zu differenzieren, sei es zwischen Personengruppen, sei es zwischen Verhaltensformen, sei es zwischen gefährlichen Orten oder besonders betroffenen Regionen.

Das heißt aber auch, dass Maßnahmen, die alle betreffen, selbst wenn es keinen Anhaltspunkt gibt, dass gerade sie das Gesundheitssystem entlasten könnten, unzulässig sind. Sonst werden wir alle wie Nichtstörer behandelt und das ist grundrechtlich unzulässig, weil es die Freiheit dementiert. Aus grundrechtlicher Perspektive ist es unverzichtbar, zielgenauere Adressatengruppen auszudifferenzieren (wer?, wie?, wo?). Das wird den Entscheidenden schwer fallen, weil sie sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen werden, ungleich zu handeln, weil sie Prioritäten begründen müssen und in der ex-post Perspektive entweder für zu weitgehende oder zu geringe Eingriffe Kritik erfahren werden. Und leider ergibt sich daraus eine schädliche Logik, denn es ist politisch vermeintlich rational, mehr anzuordnen als nötig. Wir kennen diesen Gang der Dinge von den Anti-Terrorgesetzen, bei denen sich die Politik stets am Machbaren orientierte und im Drang, zum Schutz aller auch die Rechte aller einzuschränken, erst vom Bundesverfassungsgericht, weniger von der Öffentlichkeit, gebremst wurde. An die Öffentlichkeit kann daher nur appelliert werden, nicht ein Ziel über alle anderen Rechtsgüter stellen und Entscheidungen nur daran messen zu wollen. Insofern wäre es für eine grundrechtliche Debatte schon sehr hilfreich, wenn das Ziel genauer genannt würde, nicht diffus „Kampf gegen das Virus“, sondern „kapazitätsgerechte Steuerung des Pandemieverlaufs“. Schon diese terminologische Konkretisierung eröffnet nämlich politische Entscheidungs- und Differenzierungsspielräume.

Nach milderen Mitteln Suchen verboten?

Unverständlich ist des Weiteren, warum die Suche nach milderen Mitteln von den Exekutiven momentan sträflich vernachlässigt wird. Die Kanzlerin hat die Suche explizit verboten, wenn sie erklärt, bis zum 19. April bleibe erst einmal alles wie es ist. Im Sinne des institutionalisierten milderen Mittels ist es jedoch wichtig, differenzierte Lösungen zu fördern, also nicht rigide und einheitlich zu handeln, sondern flexibel und alternativ. Das wird schon erleichtert, wenn unterschiedliche Instanzen entscheiden, wie es im deutschen Föderalismus der Fall ist. Insofern kann die föderative Zuständigkeitsverteilung den organisatorischen Nebeneffekt haben, die Suche nach milderen Mitteln zu begünstigen – wenn man das will. Denn der Föderalismus sorgt durch die Vervielfachung der Zuständigkeit schon allein dadurch für Grundrechtsschutz, dass er Alternativen nahelegt und auf diese Weise Erfahrungswissen mit milderen Mitteln ermöglicht. Momentan ist die Öffentlichkeitswahrnehmung für den Grundrechtsschutz aber kontraproduktiv, wenn gebetsmühlenhaft ein föderaler „Flickenteppich“ beanstandet wird, so auch von der Bundeskanzlerin. Wer bundeseinheitliche Lösungen fordert, dementiert das grundrechtlich gebotene mildere Mittel.

Die Perspektive ist umso relevanter in der Prognosedimension: Die Geeignetheit von Grundrechtseingriffen lässt sich in dynamischen Verlaufsszenarien gerade nicht einheitlich wissenschaftlich oder statistisch berechnen. Das zeigen auch die täglichen Statements der Virologen. Sie ist jetzt nämlich eine Bewertungsfrage und keine reine Tatsachenfrage wie bei einer ex-post Kontrolle. Als Wertungsfrage ist sie dann aber von Institutionen zu beantworten, die für Wertungen zuständig sind: Institutionen, die politisch verantwortlich sind und werten können, weil sie pluralistisch organisiert sind. Nicht jedoch Wissenschaftler, deren Terrain Fakten sind. Das hat nichts mit Ausnahmezustand zu tun, sondern ist die erkenntnis- und organisationstheoretische Folge einer zeitlich relativen Ungewissheit.

Es geht also um die Rechtfertigung von lediglich vorläufigen Maßnahmen, die überdies differenziert verhängt werden können. Dies zu betonen aktuell besonders wichtig: Der Grundrechtseingriff bleibt beweispflichtig. Die Maßnahmen sind immer von ihrer Beendigung aus zu betrachten und sie lassen sich für das momentane dynamische Ziel (kapazitätsgerechte Steuerung des Pandemieverlaufs) verfassungsrechtlich nur rechtfertigen, wenn sie auf das Vorläufige und Vorübergehende abstellen. Das zwingt zugleich zu einem ritualisierten Einfordern des milderen Mittels. Alles andere würde schon kategorial zu unverhältnismäßigen und folglich verfassungswidrigen Grundrechtseingriffen führen. Dies wiederum setzt eine politische Kultur voraus, in der über die sinnvolle Differenzierung diskutiert wird und nicht ein Überbietungswettbewerb mit flächendeckenden Regelungen in eine Hygienediktatur führt. Wir alle müssen zum Schutz unserer Grundrechte, aber auch um Erfahrungswissen für die erfolgreichere Zweckverfolgung zu gewinnen, die Entscheidungsträger konsequent dazu auffordern, mildere Mittel auszuprobieren. Wer das nicht tut, gibt seine/ihre Grundrechte schon deswegen preis, weil die politische Erfolgsrendite im Maximalen liegt.

Insofern haben wir es, wenn uns der Grundrechtsschutz leitet, momentan gerade nicht mit einer Stunde der Exekutive zu tun. Die Exekutive entscheidet momentan in Sonderstäben und Taskforces, d.h. an der Entscheidungsfindung nehmen keine pluralistisch zusammengesetzte Gremien teil, sondern speziell und sehr einseitig zusammengesetzte Expertenrunden. In vielen Ländern entscheiden nicht einmal die Regierungen über die Verordnungen, sondern der Minister. Wenn schon auf dem Verordnungswege entschieden wird, dann wäre es angesichts der grundrechtlichen Relevanz zwingend erforderlich, dass die Regierungen entscheiden, weil im Kabinett wenigstens auch Minister vertreten sind, zu deren Aufgaben die Pflege der anderen Grundrechte gehört. Auch organisationsrechtlich ist momentan nichts falscher als Gesundheitsminister mit einem Sonderverordnungsrecht auszustatten, wie es der Deutsche Bundestag bei der ad hoc-Novelle des Infektionsschutzgesetzes getan hat.

Wenn es um mildere Mittel, zeitliche Bewertungsfragen und Rechtsgüterabwägungen geht, benötigen wir das Erfahrungswissen aller Verfassungsorgane und der gesamten Zivilgesellschaft. So wie föderative Zuständigkeiten zur Differenzierung der Mittel und ganz natürlich zum Denken in milderen Mitteln führen, so dürfen sich auch die anderen Verfassungsorgane nicht die Kompetenzen von der Exekutive klauen lassen. Das betrifft besonders die Landesparlamente und den Bundestag. Viel zu leichtsinnig werden Kompetenzverschiebungen erwogen. Das betrifft aber auch die Institutionen, die von Verfassungs wegen als Gegenöffentlichkeiten zur demokratischen Willensbildung ausgestaltet und geschützt sind: die Wissenschaft, die Medien, die Kirchen. Ihr verfassungsrechtlicher Schutz (Art. 4, 5 I, 5 III GG) rechtfertigt sich gerade auch aus dem Privileg, der Gesellschaft und dem demokratischen Prozess einen Spiegel vorhalten zu können. Diesen Auftrag müssen sie jetzt auch erfüllen, indem sie die Diskussion um mildere Mittel anfeuern, der Politik damit Entscheidungsspielräume öffnen und den Rückbau der Maximalmaßnahmen erleichtern.

Blumenläden und Parkbänke

Am leichtesten geht dies, indem wir eine Diskussion über Ausnahmen beginnen und dabei auch einmal Kausalitätsannahmen hinterfragen. Denn die Standards juristischer Zurechnungslehren werden in der momentanen Situation erstaunlich gedankenlos ignoriert. Betriebsuntersagungen, Versammlungsverbote und Ausgehverbote setzen lediglich bei der Äquivalenzkausalität an. Warum werden Buchhandlungen und Blumenläden fast überall (aber nicht in allen Ländern!) geschlossen? Nur aufgrund der Logik des shutdown : Ohne kommerzielles Leben keine Kontakte. Ohne Kontakte keine Infektion. Ohne Infektion keine Überforderung des Gesundheitssystems. Das ist die Primitivkausalität der conditio sine qua non . Noch nie hat in juristischen Zusammenhängen eine solche Kausalitätsannahme ausgereicht. Stets bedarf es der Adäquanz, einer normativen Zurechnung, zu der dann spezifische Kriterien herangezogen werden (Schutzzweck der Norm, Risikoerhöhung, Pflichtverletzung), erst recht in der Unterlassensdimension (Garantenstellung).

Niemand kann erklären, warum Buchläden und Blumenläden geschlossen werden müssen, um das Infektionsrisiko kapazitätsgerecht (nicht prinzipiell!) zu reduzieren oder warum es in Bayern untersagt ist, sich auf Parkbänke zu setzen. Es ist eine Beleidigung des Verstandes, wenn sich eine Gesellschaft mit der Begründung zufrieden gibt, das Sitzen Einzelner auf Parkbänken im Münchener Olympiapark sei verboten, weil es der Gruppenbildung Vorschub leiste. Das Sitzen ist schon keine conditio sine qua non für die Infektion, weil die Erfolgszurechnung an doppelter Prognoseunsicherheit leidet (wo einer sitzt, werden automatisch viele sitzen; dann werden sich so viele anstecken, dass die Intensivbetten nicht ausreichen werden). Abgesehen davon, dass es an der Adäquanz immer noch fehlt: Die menschliche Äquivalenzprognose im Rahmen einer weiteren, medizinischen Äquivalenzprognose haben wir rechtsstaatlich noch nie akzeptiert Wer so argumentiert, wie die Bayerische Staatsregierung (in Gestalt der Münchener Polizei), hat den juristischen Verstand verloren.

Vielmehr ist zu fragen: Kann das Schließen von Buchläden einen sinnvollen Beitrag leisten zur kapazitätsgerechten Steuerung des Pandemieverlaufs? Wie wahrscheinlich ist es, dass Buchhandlungen, bekanntlich hotspots des Körperkontakts, Erregerzentren sind? Ist in Bau- und Gartenmärkten (in Bayern geschlossen) nicht genug Platz, so dass sich die Menschen nicht zu nahe kommen brauchen (was schon die voluminösen Einkaufswagen verhindern)? Gilt dasselbe nicht auch für Museen, die mit der Steuerung von Besucherströmen erfahren sind und in denen überdies Aufsichten Ansammlungen von Unvernünftigen entgegenwirken können? Lassen sich nicht Bibliotheken räumlich optimal organisieren?

In diese Richtung ist weiterzudiskutieren: Welches sind Räume, deren Nutzung so organisiert werden kann, dass eine Ansteckungsgefahr gering ist? Auf diese Weise gewinnen wir unsere Freiheiten wieder – wenn wir sie über mildere Mittel einfordern. Und warum sollte sich nicht ein Gottesdienst auch so organisieren lassen: jede zweite Reihe frei und mit Sitzabstand. Die Kirchen sollten jetzt vor allem eins tun: Eine Ausnahme fordern für Gottesdienste an den höchsten christlichen Feiertagen. Wenn sie ihre Grundrechte nicht einfordern, verlieren sie als Institution auch die religiöse Autorität. Die Religionsfreiheit ist dann jedenfalls beliebig abwägbar. Das droht allen Freiheitsrechten, wenn wir als Träger dieser Freiheit nichts dagegen tun, sondern uns mit einem diffusen Regelungsziel „Kampf gegen das Virus“ zufrieden geben und Rechtsgüter nach einer „Systemrelevanz“ differenzieren.

Systemrelevanz aber ist grundrechtlich kein Belang. Alle Grundrechte stehen normativ auf derselben Stufe und lassen sich nicht in eine Hierarchie bringen. Auch Leben ist nur im Eingriffsfall prinzipiell vorrangig, nämlich beim Tod, und zwar nur deshalb, weil dieser Grundrechtseingriff endgültig ist. Der Tod eines Menschen ist dem Staat nicht auf der Basis von Hypothesen, die mit Äquivalenzkausalität operieren, zurechenbar. Nur unter dieser Bedingung freilich ist nachvollziehbar, warum alle anderen Grundrechte momentan zurückzutreten haben, bis zur Derogation. Die Versammlungsfreiheit ist ganz aufgehoben. Was bleibt von Religions- oder Vereinigungsfreiheit noch übrig? Berufsausübung und Eigentumsnutzung stehen unter dem Vorbehalt der Systemrelevanz. Die Gleichheit wird verletzt, weil manche im home office weitermachen, während andere, staatlich ausgelöst, die Existenz verlieren. Kultur und Bildung waren als erstes verzichtbar. Der shutdown wurde auf eine Weise organisiert, die keinen Respekt für die individuellen Freiheiten erkennen ließ. Relevante Belange waren Gesundheit und Systemrelevanz. China als Vorbild. In der „Stunde der Exekutive“ wurde der Mensch auf seine nackte physische Existenz reduziert. Genau das aber lässt das Grundgesetz nicht zu: Dies wäre entweder eine Verletzung der Menschenwürde oder doch einmal ein erster Fall für Art. 19 II GG: In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

Vor allem: Wir wissen zwar nicht, wie sich das dynamische Schutzgut Gesundheitssystem entwickelt, wir wissen eines aber mit Sicherheit: Die Freiheiten werden jetzt verletzt: Jetzt werden die Existenzen vernichtet. Jetzt wird Bildungsungleichheit erzeugt. Jetzt wird auch die Gesundheit vernachlässigt, wenn OPs nicht mehr durchgeführt werden und Zahnärzte Kurzarbeit anmelden. Jetzt werden die Staatsfinanzen ruiniert. Jetzt werden die Mittel für Ausgleichsmaßnahmen disponiert, die wir für Infrastruktur, Klimaschutz und Bildung vorgesehen hatten. Diese Schutzgüter werden jetzt geschädigt. Aber welchen Gesundheitsschutz versprechen wir uns, für den wir Freiheitseingriffe und Finanzrisiken in Kauf nehmen? Will der Staat jedem Patienten eine 14tägige intensivmedizinische Behandlung garantieren? Sollte er das – und damit Erwartungen wecken, die er ersichtlich nicht erfüllen kann? Was wäre bei einem verheerenden Terroranschlag: Ist dann auch jedem Opfer eine intensivmedizinische Betreuung garantiert? Es ist auch hier die Zeitdimension, die wir nicht in den Griff kriegen. Wie erstaunlich, dass der sichere Freiheitseingriff in der Gegenwart eingetauscht wird gegen einen unsicheren Gesundheitsschutz in der Zukunft. Abwägung kann man das jedenfalls nicht nennen.

Für einen Verfassungsjuristen ist es zutiefst deprimierend mitzuerleben, wie die Essentialia grundrechtlichen Denkens in kurzer Zeit zur Disposition stehen: sorgfältige Bestimmung von Schutzgütern? Zweckorientierte Mittelauswahl? Suche nach milderen Mitteln? Kausalität und Zurechnung? Abwägung? Vollzugsföderalismus? Organisationspluralismus? Normenhierarchie (vgl. zu der gesetzesvertretenden Verordnungsermächtigung den Beitrag von Christoph Möllers im Verfassungsblog)? Wir stehen vor Hygienemaßnahmen ganz anderer Art: Der Rechtsstaat ist schwer beschmutzt. Die rechtsstaatliche Hygiene muss dringend wieder hergestellt werden, sonst droht hier das größte Infektionsrisiko.

LICENSED UNDER CC BY NC ND

Quelle:

Lepsius, Oliver: Vom Niedergang grundrechtlicher Denkkategorien in der Corona-Pandemie, VerfBlog, 2020/4/06, Vom Niedergang grundrechtlicher Denkkategorien in der Corona-Pandemie – Verfassungsblog.

Aber man kann doch nicht wirklich diskutieren, ob Supermärkte offen sein dürfen oder nicht! Wenn jetzt eine Zeit lang keine Gottesdienste sind für die Öffentlichkeit, so ist das zwar traurig, besonders natürlich an Ostern, aber eben ein Opfer, das man jetzt bringen muss, wie alle anderen auch - es schmerzt auch, dass keine Schule ist, kein öffentliches Leben. Niemand wird daran gehindert, zu beten, und der Glaube an Gott vertieft sich in solchen Zeiten. Genügt das denn nicht?

@friederike.hoffmann Sie schreiben: „Aber man kann doch nicht wirklich diskutieren, ob Supermärkte offen sein dürfen oder nicht!“ Das ist ein red herring: Ein argumentatives Ablenkungsmanöver, ein informaler Fehlschluss: „der von einer relevanten oder wichtigen Frage ablenkt“.
Mit Prof. Dr. Oliver Lepsius bin ich der Meinung, dass wir einen „Niedergang grundrechtlicher Denkkategorien in der Corona-Pandemie“ zu beklagen haben:

„Wir beklagen zurzeit Grundrechtseingriffe ungeahnten Ausmaßes. Wir müssen aber noch etwas beklagen, nämlich einen ziemlich flächendeckenden Ausfall rechtsstaatlicher Argumentationsstandards. Zwar betonen die Entscheider, die momentan mit Rechtsverordnungen Grundrechte suspendieren, immer wieder, wie schwer ihnen dies falle. Dem rechtlich wie ethisch gebotenen Umgang mit den Grundrechten wird die momentane Rechtfertigungsrhetorik jedoch nicht gerecht. Grundrechte können nur unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden. Der Eingriff unterliegt einem Rationalitätstest anhand von faktenorientierten Maßstäben und einer Verantwortbarkeitskontrolle orientiert an normativen Maßstäben. […]
In diese Richtung ist weiterzudiskutieren: Welches sind Räume, deren Nutzung so organisiert werden kann, dass eine Ansteckungsgefahr gering ist? Auf diese Weise gewinnen wir unsere Freiheiten wieder – wenn wir sie über mildere Mittel einfordern. Und warum sollte sich nicht ein Gottesdienst auch so organisieren lassen: jede zweite Reihe frei und mit Sitzabstand. Die Kirchen sollten jetzt vor allem eins tun: Eine Ausnahme fordern für Gottesdienste an den höchsten christlichen Feiertagen. Wenn sie ihre Grundrechte nicht einfordern, verlieren sie als Institution auch die religiöse Autorität. Die Religionsfreiheit ist dann jedenfalls beliebig abwägbar. Das droht allen Freiheitsrechten, wenn wir als Träger dieser Freiheit nichts dagegen tun, sondern uns mit einem diffusen Regelungsziel „Kampf gegen das Virus“ zufrieden geben und Rechtsgüter nach einer „Systemrelevanz“ differenzieren.
Systemrelevanz aber ist grundrechtlich kein Belang. Alle Grundrechte stehen normativ auf derselben Stufe und lassen sich nicht in eine Hierarchie bringen. Auch Leben ist nur im Eingriffsfall prinzipiell vorrangig, nämlich beim Tod, und zwar nur deshalb, weil dieser Grundrechtseingriff endgültig ist.“

Das strikte und absolute Verbot von öffentlichen Gottesdiensten ist demnach aus denselben Gründen m.E. ein zu beklagender „Grundrechtseingriff ungeahnten Ausmaßes“ und sachlich (laut den Ihnen bekannten kritischen Expertenmeinungen) nicht gerechtfertigt.
Deswegen sollten öffentliche Gottesdienste, unter Beachtung der sachlich notwendigen Schutz- und Hygienemaßnahmen, schnellstmöglich allen Religionsgemeinschaften wieder ermöglicht werden.
Dass jemand daran gehindert wird, zu beten, wurde nicht behauptet, darum geht es doch nicht; hier begehen Sie den informalen Fehlschluss, der missing the point oder ignoratio elenchi genannt wird.
Vgl. Hierzu den Artikel von Prof. Dr. Oliver Lepsius.

„Ich denke, der Leser, der sich anschickt, über die folgenden Punkte nachzudenken, kann nicht anders, als zuzustimmen, dass die Schwelle, welche die Menschlichkeit von der Barbarei trennt, überschritten wurde. Und zwar, ohne dass man dies bemerkt hätte oder indem man so tat, als würde man es nicht bemerken.“ Giorgio Agamben

Interview mit Prof. Dr. Sucharit Bhakdi vom 19.3.2020

Die Aussagen von Prof. Dr. Sucharit Bhakdi vom 19.3.2020 über das Neue Coronavirus und über die staatlichen Maßnahmen im Wortlaut. https://www.youtube.com/watch?v=JBB9bA-gXL4

Der Beschreibungstext auf Youtube

Corona-Krise: Prof. Sucharit Bhakdi erklärt warum die Maßnahmen sinnlos und selbstzerstörerisch sind

COVID-19, der Spuk ist längst entzaubert, nur wissen Sie das nicht. Prof. Dr. Sucharit Bhakdi erklärt den Sachverhalt. Er leitete 22 Jahre lang das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Johannes Gutenburg Universität Mainz und gehört zu den international angesehensten Infektiologen und meistzitierten Medizinforschern Deutschlands. Leben und Existenzen unserer Mitbürger werden aufs Spiel gesetzt, um eine nicht existente Gefahr abzuwehren. Die jetzt verhängten Maßnahmen sind eine Katastrophe für die gesamte Bevölkerung. Sie werden riesigen Schaden, im Gegenzug dafür aber keinen Nutzen bringen. Ein kurzes Interview geführt von Sibylle Haberstumpf, unterstützt von Christian Kwoczek, klärt auf.

Corona-Viren sind seit Menschengedenken unter uns und spielen in der Medizin eine zu vernachlässigende Rolle. Die meisten Infizierten werden nicht schwerkrank. Allein ältere Menschen mit Vorerkrankung, insbesondere der Lunge und des Herzens können ernsthaft gefährdet sein.

Die Behauptung, COVID-19 sei eine besonders gefährliche Virus-Variante, ist durch unkritische und falsche Interpretation von international erhobenen Falldaten entstanden. In Wahrheit spricht alles dafür, daß COVID-19 sich nicht grundsätzlich von seinen harmlosen Geschwistern unterscheidet.

Der Wortlaut des Videos

Viren kommen weltweit bei Tieren und Menschen vor und bilden eine Großfamilie. Viren sind unter uns. Normalerweise spielen sie medizinisch keine Rolle, weil sie nur leichte grippale Infekte oder fieberhafte Schnupfen machen. Höchstens ältere Menschen mit Vorerkrankungen sind vielleicht etwas gefährdet.

Jetzt betritt ein neuer Vertreter die Bühne und versetzt die Welt in Angst und Schrecken. Covid-19 wurde in China entdeckt und breitete sich dort sehr schnell aus, war aber mit vielen Todesfällen begleitet, mehr als man erwarten würde. In Norditalien spielte sich ähnliches ab. Allerdings wurden in anderen Teilen der Welt solche Todesraten nicht erreicht.

Scheinbarte Todesraten: Wenn ein Virus nicht selbst oder allein tötet, dann darf man dem Virus nicht die Schuld allein in die Schuhe schieben. Daß dies bei Covid-19 geschieht, ist gefährlich irreführend. Denn dadurch vergißt man, daß viele andere Faktoren mit eine entscheidende Rolle spielen.

Was eint Norditalien mit China? Die horrende Luftverschmutzung, welche die höchste in der Welt ist. Italien ist China Europas. Die Lungen in diesen Gebieten sind ganz anders vorbelastet und erkrankt als unsere Lungen.

Das, was beschlossen wurde, ist eigentlich sinnlos.

Tötet dieses Virus „nur“ ältere Menschen mit Vorerkrankung, so wie die anderen Coronaviren, oder auch junge Menschen? Die Antwort ist völlig klar: Wir haben 10.000 Infektionen. 99% davon haben keine oder nur leichte Symptome. Es ist daher falsch, von „10.000 Erkrankten“ zu sprechen. Die sind nicht krank. Infektion ist nicht identisch zu setzen mit Erkrankung. Erkrankt sind lediglich 50 bis 60 dieser Menschen, und 30 bisher gestorben in 30 Tagen. Wir haben also bis jetzt eine Todesrate von 1 covid-19-positiver Fall pro Tag.

Das Horrorszenario wäre: 1.000.000 Fälle und 30.000 Tote in den nächsten 60 Tagen. Dieses Horrorszenario versucht man jetzt abzuwenden. Nach allem, was wir wissen, ist die höchste mögliche Todesrate 30 pro Tag. Das hört sich vielleicht nach viel an, man muß aber bedenken, daß in Deutschland jeden Tag 2.200 Menschen über 65 Jahre sterben. Wahrscheinlich trägt 1 % von ihnen, also 22, Coronaviren, die Geschwister des Covid-19 sind. Der Unterschied ist allein, daß man hier nicht von „Coronatoten“ spricht, weil man weiß daß das Virus an diesem Geschehen eine sehr, sehr untergeordnete Rolle spielt. Jetzt versucht man zu verhindern, daß statt dieser 22 Menschen jene 30 Menschen sterben. Wir haben Angst, daß bei 1.000.000 Infektionen mit dem neuen Virus 30 Tode pro Tag zu beklagen sein werden, und realisieren nicht, daß die ganze Zeit bereits mindestens 20, wenn nicht 30 oder 40 oder 100 Patienten, die mit den gleichen Vorerkrankungen und der gleichen Vorbelastung sterben, coronaviruspositiv sind. Und dafür werden jetzt horrende Maßnahmen ergriffen.

Die Maßnahmen sind grotestk, überbordend und direkt gefährlich. Gefährlich, weil jeder Mensch das Recht hat, sich zu bemühen, nicht zu den 2.200 zu gehören, die jeden Tag uns verlassen. Hierfür hat er seine Hobbies, betreibt Sport, pflegt seine sozialen Kontakte, besucht Veranstaltungen usw. Das fällt jetzt alles weg. Wir können davon ausgehen, daß diese Maßnahmen die Lebenserwartung dieser 2.200 Menschen verkürzen.

Die wirtschaftlichen Folgen sind horrend und für viele existenzgefährdend.

Ich kann nur sagen: Diese Maßnahmen sind selbstzerstörerisch. Wenn die Gesellschaft sie akzeptiert und durchführt, gleich dieses einem kollektiven Selbstmord.

Nachtrag 1 von Prof. Bhakdi

Nachtrag 1 vom 22.3.20: https://www.youtube.com/watch?v=lJEJBKiBVlA

Der Beschreibungstext auf Youtube

Prof. Dr. Sucharit Bhakdi - Corona-Nachtrag 1: Belastbarkeit des Gesundheitssystems

Hochrechnungen gehen davon aus, dass 5% der Corona-Patienten beatmet werden müssen und dies wird angesichts des raschen Anstiegs an Infektionsfällen in kurzer Zeit zum Zusammenbruch des Gesundheitssystems führen. Es wird erklärt worin der Fehler bei diesen Hochrechnungen liegt. Hier ein Nachtrag (Teil 1) zum Thema Corona-Krise.

Aktuelle Zahlen zur Anzahl der Infizierten und der Todesfälle sind für jeden einsehbar, unter anderem auf der Homepage der Johns Hopkins University oder über das RKI.
coronavirus.jhu.edu/map.html
corona.rki.de

Der Wortlaut des Videos

Muß man einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems in Deutschland befürchten? Verschiedene Hochrechnungen gehen davon aus, daß 5 % der Patienten beatmet werden müssen. Meine Antwort: Der fatale Fehler bei diesen Hochrechungen Infektion gleich Erkrankung gleich Patient setzt. Tatsache ist: eine Infektion ist das Eindringen und die Vermehrung eines Virus in einen Körper. Infektionskrankheit, also Symptome und Krankheit, entstehen erst dann, wenn es eine entsprechende Reaktion des Körpers gibt. Bei Coronaviren verlaufen tatsächlich 90 % der Infektionen ohne Krankheitssymptome. Das heißt, der Mensch bleibt gesund. Das können Sie auch in den Zahlen einsehen, die für jeden öffentlich zugänglich sind. Wenn man also eine Hochrechung angestellt hat und dabei davon ausgegangen ist, daß die Zahl der Infektionen maßgeblich ist für die Berechnung des Bedarfs, dann sage ich, Sie müssen diese Ergebnisse der Berechnung durch 10 teilen. Und wenn Sie das tun, werden Sie sehen, daß das Virus unser Gesundheitssystem nie und nimmer zum Zusammenbruch bringen kann.

Nachtrag 2 von Prof. Bhakdi

Nachtrag 2 vom 22.3.20: https://www.youtube.com/watch?v=MARVdS-pHdQ

Beschreibungstext auf Youtube

Prof. Dr. Sucharit Bhakdi - Corona-Krise Nachtrag 2 - Schreckensszenario Italien

Vor wenigen Tagen meldete Italien 6000 Corona-Infizierte und 600 Corona-Tote. Wie kann das sein?

Es wird erklärt warum die Daten irreführend sind. Hier ein Nachtrag (Teil 2) zum Thema Corona-Krise. Tatsächlich muss man hinterfragen, wie die Definition „Corona-Virus Toter“ zustande kommt. Was viele nicht wissen: Italien und Spanien gehören zu den wenigen Ländern, die post mortem, also bei Verstorbenen, nachträglich testen, ob Corona Viren anwesend waren. Völlig unabhängig von der Todesursache führt allein die Tatsache, dass diese gefunden werden, automatisch zur Aufnahme in die Statistik der Corona-Toten. Das schafft grundsätzliche Probleme.

Ich bitte um Entschuldigung für einen Versprecher, der mir zu Beginn des Videos unterlaufen ist. Am Anfang des Videos muss es natürlich heißen, dass 600 und nicht 6000 Tote in Italien zu beklagen waren.

Aktuelle Zahlen zur Anzahl der Infizierten und der Todesfälle sind für jeden einsehbar, unter anderem auf der Homepage der Johns Hopkins University oder über das RKI.
coronavirus.jhu.edu/map.html
corona.rki.de

Der Wortlaut des Videos

Was ist mit Italien? Vor ein paar Tagen starben 600 Menschen an Corona. Blüht uns nicht das gleiche, wenn wir nichts unternehmen? Meine Antwort: Es ist bekannt, daß dieses Virus sich wirklich außerordentlich schnell ausbreitet. Vielleicht gerade deswegen, weil es so relativ ungefährlich ist und gesunde Menschen nicht ernsthaft daran erkranken. Das heißt, ich werde infiziert, dann gehe ich herum und infiziere Sie. Und Sie merken das nicht. Um so wichtiger ist es, daß man Unterscheidet, zwischen Ursache und Nebensache. Man kann nicht hingehen und sagen: Ist das Virus da, dann ist das Virus schuld. Das ist das, was aber in Italien gemacht wird und bei uns und in Spanien leider auch und weltweit. Und das führt natürlich in diese Situation, die fast ausweglos ist.

Vor einigen Tagen hatten wir den ersten Coronatoten hier in Schleswig-Holstein zu beklagen. Es war ein 78-jähriger Mann, der an Ösophaguskrebs im Endstadium litt und seinen letzten Frieden auf einer Palliativstation suchte. Einige Tage vor seinem Ableben wurde der Virusabstrich genommen und nach seinem Tod wurde der Befund mitgeteilt. Sofort wurde er eingetragen in die Coronatotenliste Deutschlands als die Nummer 52.

Was in Italien vorgeht, weiß ich nicht, weil um wirklich zwischen Ursache und Nebensache zu unterscheiden, bräuchte man Daten. Daten des Krankheitsverlaufs und Daten der Hintergründe des Todes. Die haben wir nicht. Aber zu sagen, daß, weil das Virus da ist, ist das Virus auch die Ursache des Todes, und dann zu sagen, wenn ja, dann müssen besondere Maßnahmen ergriffen werden, um den Toten gefahrlos zu seiner Ruhestätte zu bringen, das ist das, was zu den filmreifen Szenen in Italien führt.

Wenn wir so weitermachen, dann werden Sie und ich unsere Lieben nicht mehr im Krankenhaus besuchen und uns von ihnen verabschieden dürfen, wenn die Zeit kommt. Wollen Sie das wirklich?

Ich denke, daß die Zeit gekommen ist, daß Sie sich hinsetzen und überlegen, was zu tun ist. Verlangen Sie doch, daß diese Fragen offen, kritisch und sachlich diskutiert werden.

Ich wünsche Ihnen alles Gute.

Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel

Offener Brief an Bundeskanzlerin Merkel vom 29.3.20: Video, PDF

Beschreibung auf Youtube:

Corona-Krise: Offener Brief an die Bundeskanzlerin von Prof. Sucharit Bhakdi

Prof. Dr. med. Sucharit Bhakdi, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiolgie, leitete 22 Jahre das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Mainz. Er hat einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben mit 5 Fragen, die nach sofortigen Antworten verlangen, um festzustellen, wie begründet die derzeitigen massiven Einschränkungen unserer Grundrechte sind. Das Video erläutert die Fragen und deren Hintergrund. Der ganze Brief im Wortlaut mit den Fragen, Hintergründen und Referenzen kann hier eingesehen werden: [PDF]

In seinem Artikel *„*Gehorchen, sich fügen oder opponieren?“ schreibt J. Stöhr:

„Wie sieht es nun konkret aus in Bezug auf die derzeit staatlichen Einschränkungen der Gottesdienste? Der Staat hat keinerlei Recht, Gottesdienste zu untersagen und mit einem einseitigen gesundheitspolitischen Imperativ bürgerliches Leben in Freiheit zu zerstören (wie z.B. in Frankreich). Auch kein Bischof hat das Recht, die Hl. Messe einfach zu verbieten ( Ludwig Gerhard Kardinal Müller ). Die Ungleichbehandlung von Gottesdiensten gegenüber Supermärkten, Bauhilfen usw. war offensichtlich ein grobes Unrecht. Der Staat kann zwar mit Recht die Beachtung hinreichend begründet der hygienische Vorsichtsmaßnahmen verlangen, aber nicht grundsätzlich Gottesdienste sperren oder überzogene Sonderforderungen an die Gläubigen stellen. Einzelne Anordnung, die offensichtlich nur aus bloßer Regulierung sucht oder falsche Ängstlichkeit getroffen werden, haben keine Gültigkeit. Viele fühlen sich heutzutage ungerecht bevormundet und in ihren bürgerlichen Grundrechten beeinträchtigt. Die Zunahme von familiären Stress, häuslicher Gewalt, Vereinsamung und Depression erfordert geistliche Ermutigung und die Eucharistie als Heilmittel, remedium mentis et corporis, pharmakeia , Angeld der Unsterblichkeit, Teilhabe an der Opferhingabe Christi. Die Verhältnismäßigkeit der Einschränkung ist offensichtlich in den letzten Monaten bei weitem nicht gewahrt worden. Widersinnig ist es, wenn Lebensmittel auf den Märkten öffentlich verkauft werden, aber die Kommunionspenung untersagt bleibt. Die Verantwortung des Bischofs bezieht sich besonders auf die Feier der hl. Eucharistie. Sie kann nicht ersetzt werden durch Wortgottesdienste (wie jüngst in Würzburg) oder ferngesteuerter Bilderfolgen. Es mussten von den Bischöfen auf jeden Fall immer private gottesdienstlichen Veranstaltung mit mehreren Teilnehmern gefördert werden, in erster Linie die Heilige Messe, die den Mittelpunkt kirchlichen Lebens bedeutet. Wenn ein erforderliche Hygiene-Abstand weniger Teilnehmer zulässt, müssen eben mehr hl. Messen gefeiert werden. Vermutete Risiken bei der Art und Weise des Kommunionempfangs können mündige Christen durchaus selbst einschätzen; dazu braucht es an sich keine (diskriminierenden) Regelungen. Die Corona-Krise dient ja auch nicht selten als Vorwand, um eigene ideologische Vorstellungen durchzusetzen. Dazu gehört auch das pauschale Verbot der Mundkommunion in Deutschland, die von der US-amerikanischen Bischofskonferenz ausdrücklich gestattet worden ist. Eine entsprechende pauschale Anordnung ist ungültig; gehorchen kann man nicht, sondern allenfalls sich fügen. Doch ein so schwerwiegender Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte und ein legitimes individuelles Frömmigkeitsverständnis sollte nicht hingenommen, sondern das Recht auf persönliche verantwortete Gewissensentscheidung eingefordert werden. Befohlen Abstandsregeln sind meist noch hinnehmbar – man sollte sie aber nicht übertreiben und schon gar nicht mit einer Wasserpistole durchzusetzen versuchen. Für Trauungen hat es gerade zu lächerliche Folgen der Regulierung sucht gegeben (Abstand zwischen Braut und Bräutigam bei der Trauungszeremonie). Die Verpflichtung und der Nutzen des Tragens von Schutzmasten ist auch bei Fachleuten umstritten. Problematisch ist auch das Gesangsverbot in Gottesdiensten mit ganz wenigen und weit voneinander entfernt den Teilnehmern – während gemeinsame Gebete stattfinden. Absurd erscheint: in einem viel besuchten Fahrstuhl (Aufzug) seien Viren nicht zu befürchten, wohl aber angeblich in jedem Beichtstuhl trotz dessen abgedeckten und vergitterten Fensterchen. Die Einschätzung der Ansteckungsgefahr kann dem persönlichen Gewissen und einer sinnvollen Güterabwägung überlassen bleiben; zahlreiche (und einander nicht selten widersprechende) Informationen von den verschiedensten Experten sind allgemein zugänglich. Wenn einem Priester befohlen wird, am Sonntag Wort Gottesdienste statt heilige Messen zu feiern, dann sollte er direkt das Gegenteil tun – denn ein solcher Befehl ist zweifellos ungültig und schädlich. Sollten Unterdrückungsmaßnahmen oder Disziplinarstrafen zu befürchten sein, dann kann man schließlich handeln wie die Christen des Altertums: in den Untergrund gehen und alle privaten Möglichkeiten ausnützen.“

Quelle: Johannes Stöhr *„*Gehorchen, sich fügen oder opponieren?“ Theologisches 50, 07/08 2020: 364-366.