Ist die Schönheit der Musik, der Zeitgeist moderner Musik oder die Wahrheit der wichtigste Wert, dem die Komponisten dienen sollen? Gibt es Wahrheit in der Musik?


Dieses wunderschöne (wenn auch ein wenig eintönige) Stück schickte ich eben an meinen Sohn Johannes.

Dies ist eines der bekanntesten Stücke von Pärt. Ich konnte ihn einmal vor Jahren in Wiesbaden persönlich erleben; bei der Gelegenheit wurde das Stück auch gespielt.

Ich finde, man muss bei Musik davon absehen, dass sie BESTIMMTE EINDEUTIGE Inhalte transportieren kann oder soll. Sie muss auch nicht religiös sein. Ob Musik überhaupt ein Programm haben kann, ist ja die Frage. Meist gibt nur der Text die inhaltliche Richtung vor. Umgekehrt kann manchmal auch ein abstruses Libretto schöne und gute Musik zur Grundlage haben. Ich plädiere also für den Vorrang der Musik als solcher bei der Beurteilung.

Bitte höre Dir diese Musik von Kaija Saariaho an: https://youtu.be/vQnnTK66y5s. Diese Finnin ist leider radikale Feministin, aber schreibt trotzdem wunderschöne Musik, die auf dem Prinzip des Spektralismus beruht. Dieses Oratorium bezieht sich auf Simone Weil und hat entsprechend dem Kreuzweg 15 Stationen. Ein libanesischer, maronitisch-melkitischer Franzose hat das Libretto verfasst.

M.E. sind arme zweitklassige Würstchen. Kritik aus dieser Ecke kann man vergessen. Die haben auch Stockhausen angegriffen, der ja nun wirklich „modern“ komponiert hat. Bei ihm hat aber das Geistig- Geistliche gestört. Dennoch: Alma Deutscher wird zweifellos einen Weg finden müssen, schön UND modern zu schreiben. Heute wie Mozart zu schreiben ist mE nicht genug. Die menschliche Erfindungskraft ist potentiell unbegrenzt und deshalb sollte sie, obwohl ich wie Du Originalität um ihrer selbst willen nicht schätze, nicht dazu benutzt werden, Musik zu schreiben, die sich sehr an existierende Musik anlehnt und mich darum auch sehr daran erinnert.

Pärt und Saariaho sind nur zwei Beispiele, wie das gehen kann: Schönheit und Neuheit.

Habe mir die Finnin angehört. Alma gefällt mir besser, weil ihre Musik ganz frei von jedem Zwang von Modernität ist. die fast immer mit einem gewissen Mass an unnatürlicher Künstlichkeit und Hässlichkeit einhergeht. Pärt gefällt mir trotz seiner Modernität sehr, teils weil Künstlichkeit und Hässlichkeit in seiner „modernen“ Musik fast 100 % ausgeschaltet sind. Wie gesagt, Pärt gefällt mir ausserordentlich. Aber gerade auch, weil er nach einer ewigen Schönheit strebt, nicht danach, modern zu sein, wie er auch in seinen Interviews sagt. Die Finnin, und 90 % der modernen Musik, auch der relativ „besten“, gefällt bis jetzt kaum, auch wenn sie interessant sein kann, wie ein Cellostück, das ein Komponist für meinen Sohn Johannes komponierte, der es phantastisch in einem Wettbewerb spielte.
Ich plädiere jedoch für den absoluten Vorrang der Schönheit vor aller Originalität und Modernität, wie Almas Philosophie ihn zum Ausdruck bringt (und ich dem Buch über sie hervorhebe) und ich hoffe, dass Alma daran nichts ändern wird (die Originalität stellt sich von selbst ein, wie Mozart so schön durch den Vergleich mit seiner Nase geantwortet hat). Ausserdem finde ich schon die Oper der 10jährigen sehr originell und eigenständig. Man muss nicht die ganze Sprache und den ganzen Stil ändern, um originell zu sein. Beethoven war höchst originell, ohne eine völlig andere Sprache als Haydn einzuführen. Ich sehe keinerlei Grund, warum ein heutiger Künstler nicht diese ewig schöne Sprache und die Sprache, die ihm am besten dient, ein schönes Werk zu komponieren, verwenden soll. Auch die größten Künstler der Renaissance haben wieder die Sprache der antiken Meister in der Skulptur verwendet. Das gerade war Renaissance (Wiedergeburt, Neugeburt) alter und immer neuer Schönheit. Gerade in dem absoluten Primat der Schönheit sehe ich einen wunderbaren Vorzug Almas, den sie hoffentlich nie durch den Druck der Zeit aufgeben wird. Ich fühle keinerlei Bedürfnis, dass Alma moderner werden soll in ihrem Stil, wie die Finnin, und nicht einmal so modern wie Pärt zu komponieren braucht. Sie soll wählen, was das Schönste ist, was sie kann, wie sie so wunderbar in ihren Interviews sagt. Weiter braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Das gefällt auch den schönheitsliebenden Zuhörern, wie ihr weltweiter triumphaler Erfolg beweist. Natürlich feiert auch die dämonische Rockmusik und deren „teuflisches Geleier und Geplärre“, um Bach zu zitieren, Triumphe unter den von Perversität des Geschmacks angekränkelter Jugend (inklusive einiger meiner Kinder), aber Komponisten, die etwas ewig Schönes schaffen, begeistern die wahren Musikliebhaber mehr als künstlich Neues Zeug. Du wirst sehen, diese Kunst wird noch triumphieren und das Versinken der Welt in Hässlichkeit verhindern und die Welt durch Schönheit retten, Wie Dostojewski sagt. , und Alma wird eine wichtige Zeugin und Ursache dieses Sieges der Schönheit sein. Wenn ich ein Maler wäre, würde ich ein Bild, der Art von Breughels „Kampfbilder“, über den Kampf der Schönheit gegen die Häßlichkeit malen.Das ist für mich auch zentral für den Glauben: Die Erhabenheit und Schönheit des Propheten Daniel oder Isaias, und vor allem der Lehren, Wunder und Taten Jesu sind für mich einer der tiefsten Gründe meines Glaubens, wie es Augustinus, in Conf. cap. xxvii wundervoll ausdrückt: Sero te amavi,
pulchritudo
tam antiqua et tam nova, sero te amavi ! …
Noch eines: ich stimme Dir zu, dass die Musik den Vorrang vor schönen Texten hat, aber in Opern und Liedern verbindet sich eben die Schönheit des Wortes und des Tons, wie im Schlusschor des Fidelio und auch der Oper Cinderella, oder dem herrlichen, von ihr und Schubert komponierten Goethegedicht: „Ich denke Dein…“ Zu den Fragen der Ästhetik, die Du anschneidest, empfehle ich Dir, Hildebrands Ästhetik zu lesen.

das ist jetzt ja eine wunderbare Konversation. Ich gebe Dir recht, dass Alma ihren Weg aus sich schöpfen soll und nicht aus Zwang oder auch nur Vorgaben von außen. Aber das tun wahre Künstler immer. Pärt hat ja in der Sowjetunion zuerst auch modern komponiert, bevor er merkte, dass das nicht zu ihm passt, dass das nicht sein Weg ist. Bei dem Polen Penderecki war es auch so. Viele blieben bei der Moderne, weil sie sich dem Zeitgeist entsprechend mehr Aufträge und Aufführungen versprachen. Viele haben sich von der „Künstlichkeit“ abgewandt und neuorientiert. Aber da bleibt genauso ein Verdacht: Haben sie es aus Überzeugung getan oder um mehr Erfolg zu haben? Weil nämlich die Musik, der sie sich zuwandten, „schöner“ und publikumswirksamer war.

Aber „Schönheit“ ist eine schwierige Kategorie und ich habe tatsächlich vor, Hildebrands Buch komplett zu lesen. Wenn in der Musik jedoch Schönheit mit tonaler Harmonie und symmetrischen Rhythmen gleichgesetzt wird, letztlich mit dem klassisch-romantischen Kanon plus ein bisschen Bach, scheint mir das etwas einfach zu sein. Publikumserfolg ist auch kein echter Maßstab, weil das Publikum mehrheitlich keine Ahnung hat. Ich habe wirklich viel gelesen und nachgedacht dazu, bin immer noch unschlüssig. Die Serialisten, vor denen Du sicher einen Horror hast, wollten pythagoräische Kriterien wiederherstellen, eine mathematisch fundierte Schönheit, aber auch Schönheit. Diese objektive Schönheit sollte nicht zu den niederen sinnlichen, sondern zu den höheren geistigen Bereichen des Menschen sprechen. Nicht Freuden und Leiden des Menschen sollten aus- und angesprochen werden, sondern das reine Göttliche im Menschen. So wie bei Guillaume de Machaut, Josquin Desprez oder Cipriano da Rore, die heute auch keiner versteht noch aufführt und die doch zu den besten Komponisten aller Zeiten gehörten. Aber wo ist das Gefühl für das Göttliche heute hin? Für Schönheit, die sich nicht mit Menschenmaß begnügt? „Menschliche Maße und Dramen“ sprechen halt leichter an.

Wir wissen noch nicht, was die gute moderne Musik war, der Abstand ist noch zu klein, es muss noch ausgesiebt werden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass in den letzten 120 Jahren von den Atonalen nur Schrott komponiert wurde bzw. nur die Tonalen gute Stücke geschrieben haben, ist doch sehr gering.

Euer Dialog über Musik ist für mich äusserst interessant, habe doch auch ich, der ich so 68 Jahre aktiv Klarinette und später dann auch noch Saxofon spiele, oft über Wirkung, Möglichkeit und Wert nachgedacht. Ich möchte hier den Gedanken -„Ist die Schönheit der Musik, der Zeitgeist moderner Musik oder die Wahrheit der wichtigste Wert, dem die Komponisten dienen sollen“? Wir sind uns einig, dass die Musik der ganzen Skala, von teuflisch bis himmlisch dienen kann. Wir sind uns auch einig, dass es unter den Komponisten böse und gute Menschen gibt. Es ist also nicht die Musik, die böse oder gut ist. Es ist es der Mensch. Ich war einmal mit einem ital. Musikkameraden in die Nähe von Rom eingeladen. Ich hatte den Wunsch, in Rom ein Konzert zu besuchen. Ich dachte eigentlich an ein „klassisches“ Konzert. Ich wurde aber in einen Kinosaal mitgenommen. Da standen auf der Bühne etwa 20 Lautsprecher. Der Interpret und Komponist hiess J. H… Er wurde als Genie angepriesen. Nun diese Musik war durch ihre Lautstärke nur gewalttätig und die musste man teuflisch nennen. J. H. hatte gegen Ende des Konzertes während dem spielen nach und nach die Gittarre demoliert. Später vernahm ich, dass er nicht mehr lange lebte. Wegen der Drogen. Die Musik soll also der Schönheit und der Wahrheit dienen. Das soll auch der Mensch und in diesem Fall auch der Komponist. Da fehlte mir aber noch etwas. Ich habe gerade gestern Nachmittag eine volkstümliche Sendung aus Öesterreich im Fernsehen gesehen. Ich muss sagen, die hat mich richtig glücklich gemacht. Für mich hat die Sendung Zufriedenheit und eben auch Wahrheit und Schönheit ausgestrahlt. Ich konnte mir unmöglich vorstellen, das die Interpreten böse Menschen sein könnten. Nun ein Gedanke über den Wert von Musikgattungungen. Das Leben jedes Menschen kennt Höhen und Tiefen. Menschen, die über Volksmusik die Nase rümpfen sind Snobysten. Wenn Volksmusik einen Menschen aus einem Tief oder gar aus einer Depression herausholen kann, ist sie wertvoller, als wenn einer gut gelaunter Musikfachmann nach einer Oper trübsinnig nach Hause geht. Es gibt Menschen, die sind schon als Kind sehr empfänglich für Musik. Diese Gene können aber eine Entwicklung bewirken. Darf ich mich einmal als Beispiel beschreiben. Als Kinder in einer einfachen Familie hörten wir oft Radio. War Orchestermusik, Sinfonien oder Kammermusik oder Kunstgesang, überhaupt, waren Geigen im Spiel, wurde sofort umgeschaltet. Das hiess dann „Gigelimusig“. Wir liebten nur Schlager, Ländler oder Jazzmusik. So mit 14 Jahren begann ich Klarinette zu spielen. So mit 17 kam ich in die Blasmusik. Da war einmal Nabucco auf dem Programm. Die Melodie hatte mich tagelang nicht mehr losgelassen. Da fand ich auf einmal, „klassische“ Musik kann auch schön sein. Es folgten dann weitere Transkriptionen von Orchesterwerken. Obwohl das oft fragwürdige Werke waren, für mich war es der Einstieg in anspruchsvollere Musik. Momentan habe ich das Vergnügen, mit einem Streichquartett das Klarinettenquintett von Mozart einzuüben. Das Klarinettenkonzert von Mozart habe ich 1990 mit einem Streichquartett das Klarinettenquintett von Mozart einzuüben. Das Klarinettenkonzert von Mozart habe ich 1990 mit einem Laienorchester gespielt. Gestern habe ich das Stück für Cello und Piano von Arvo Pärt gehört. Ich möchte dir Josef von ganzem Herzen danken für die Übermittlung. Das Stück ist wunderwunderbar. Mit so wenig Noten, so tief ins Herz hinein dringen, ist wahre Kunst. Diese Musik habe ich als reines Gebet empfunden. Mein Geschmack in Sache Musik hat sich also entwickelt. Ich habe auch schon oft erlebt, dass mir eine Komposition am Anfang beim Einüben überhaupt nicht gefallen hat. Und erst nach und nach habe ich die Musik lieben gelernt. Und so möchte ich auch nicht voreilig über moderne sogenannte Kunstmusik urteilen. Es gibt auch da Schrott und tiefernste Kompositionen, die nicht der Vergessenheit anheimfallen. Welcher Musik also Schönheit und Wahrheit innewohnt ist immer subjektiv. Was dem Einen gefällt findet der andere schrecklich. Auch kommt es vor, dass eine Musik heute gefällt, und in 2 Wochen nicht mehr. Allerdings, Rockmusik, die immer laut und immer nur Bumm-Bumm macht, wird mir wohl nie gefallen. Ich habe mir nun erlaubt, in euren Dialog miteinzusteigen. Vielleicht ist ja auch ein Gedanke dabei der für euch neu ist.

Vielen Dank für Ihre Gedanken (ich sieze unbekannterweise gerne). Bitte erlauben Sie als erste Anmerkung, dass ich Musik von ihren Urhebern trennen würde. D. h. ich würde nie behaupten, Musik sei gut, weil ihre Urheber gut sind. Umgekehrt: Gesualdo war Mörder, Mozart Freimaurer, Pfitzner Nazi – trotzdem ist ihre Musik „gut“. Musik steht für sich selbst. Zweitens stimme ich zu, dass Musik die ganze Breite menschlichen Denkens und Fühlens darstellen können soll, also auch das Traurige und Teuflische. Ich erinnere hier besonders an Franz Liszts Dante-Symphonie, die Hölle, Fegefeuer und Paradies musikalisch „dargestellt“ hat. Ich denke, auch das Böse und Teuflische entsprechen der Wahrheit, um auf den Titel dieser Diskussion zu rekurrieren.
Ist das nun auch schön?
Hier möchte ich auf Ihr Hendrix-Konzert in Rom zu sprechen kommen, um das ich Sie beneide. Warum, können Sie in einem Artikel von mir nachlesen: https://ef-magazin.de/2010/09/20/2554-electric-hendrix-zur-erinnerung-an-den-grossen-gitarristen. Sie haben recht, was die absurde Lautstärke und Aggression angeht, aber sagten wir nicht gerade, dass Musik auch dazu fähig sein sollte? Bei Hendrix haben wir es mit einer Begabung zu tun, die sich ihres Potenzials nicht bewusst war und die sich verschleudert hat. Die Gitarrenzerstörung war ein Promotion-Mätzchen des Managements, dem sich Hendrix leider unterworfen hat. Das ist tragisch, aber nicht böse.
Noch einmal zurück zur Schönheit. Karlheinz Stockhausen hat Schönheit als Perfektion, Vollkommenheit definiert. Mithin wäre auch vollkommen ausgeführte Hässlichkeit, Trauer, perfekt Teuflisches „schön“. So hat Stockhausen das aber nicht gemeint. Er dachte schon an göttliche Perfektion, an eine Entsprechung der Menschenmusik mit dem göttlich geschaffenen Kosmos. Das hat er mit einer an Pythagoras anknüpfenden mathematisch fundierten Musik versucht zu erreichen, die viele Menschen als schrecklich empfinden. Ist also nur tonale Musik schön, wie der Dirigent Ansermet behauptet hat?
Die stille Innigkeit mancher Volksmusik wiederum ist eine andere Form von Schönheit, die auf Authentizität, auf „Echtheit“ beruht.
Ich sehe hier also ein breites und ungeklärtes Feld vor mir, was Schönheit und Wahrheit in der Musik angeht.

Um in die Diskussion miteinzusteigen, eignet sich die kurze Lektüre von:

(Ich habe sie gerade via Kindle Unlimited beendet und kann sie nur empfehlen :+1:.)